Theorie

Das Bindegewebe im Kontext der Naturheilkunde

Ein Streifzug durch die Medizingeschichte

Die traditionelle europäische Naturheilkunde basiert wesentlich auf der Humoralmedizin und der Kosmologie des alten Griechenlandes. Sie beschäftigt sich mit Zugeben, Schwächen / Sedieren/ Ausleiten oder Ausgleichen der vier Elemente, um Gesundheit wieder herzustellen. Im Wesentlichen geht es um die Erhaltung der Homöostase, dem Ausgleichen der vier Elemente. Das Bindegewebe mit seiner physiologischen Pufferwirkung agiert dabei als Drehscheibe.

Dies hat man bereits in der Antike erkannt, nur sah man damals nicht das Bindegewebe als Grundgewebe, – stattdessen sprach man von den vier Funktionsprinzipien, den Säften (Humores), welche den Menschen und sein Temperament  bestimmen  und die damals bekannten Organen durchströmen und lenken.  Der Spiritus lenkt die Säfte, während die dienenden Kräfte  (facultates ministratae) im Bindegewebe (damals bekannt als Porengangsystem) die Säfte gemäss dem Spiritus aufbauen, transformieren und als dann auch abbauen.  In der Neuzeit versank das humoralpathologische Modell zunehmend in der Mottenkiste des Aberglaubens.

Die Aufklärung  erfasste  auch die Medizin.  Die Medizin wurde auf das naturwissenschaftliche Denken reduziert: Anatomie und Pathologie waren die Schlüsselworte. Virchow (1821-1902) entwickelte massgeblich die Zellularpathologie mit,  welche besagt, dass Krankheiten ihre Ursachen alleine  in der gestörten Aktivität von Zellen haben. Dieses streng naturwissenschaftliche Denken etablierte sich immer mehr und warf die funktional denkende Humoralmedizin definitiv auf den Scheiterhaufen des unaufgeklärten Denkens. Doch die neuere Forschung der Umweltmedizin – die systemische Medizin –  beweist, dass die funktional denkende Humoralmedizin  zu Unrecht diffamiert wurde.  Es ist wahrlich fast ironisch zugeben zu müssen, dass aktuellste medizinische Forschungen aus der systemischen Medizin die funktionale, in Rhythmen geordnete Sichtweisen der Humoralmedizin bestätigen!

Das Bindegewebe im Kontext der Salutogenese (Psychologie)

Aaron Antonovsky (amerikanisch-israelischer Medizinsoziologe,  lieferte in seinem Modell der Salutogenese eine Antwort auf die Frage der Sinngebung.  Er fand den Schlüssel im sogenannten Kohärenzgefühl (einem psychologischen Konstrukt, definiert durch Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit).  Dieses Kohärenzgefühl entscheidet, wie ein negativer Reiz (Stressor) schlussendlich auf die Gesundheit des Betroffenen wirkt. Das Kohärenzgefühl ist die psychische/seelische  Komponente, welche in allen Lebensprozessen einen integralen Bestandteil bildet und sehr entscheidend ist, wo sich der Betreffende auf dem Gesundheits-Krankheitskontinuum bewegt. Dieser Filter entscheidet wie das Individuum seine Umwelt  wahrnimmt; sind Geschehnisse gut vereinbar mit  dem eigenen System, wird das Kohärenzgefühl gestärkt,  Ereignisse, welche nur schwer oder gar nicht ins eigene System integriert werden können, können das Kohärenzgefühl nachhaltig schwächen.  Für die Ausbildung eines starken Kohärenzgefühls ist entscheidend, in welcher Lebensphase solche kritischen Lebensereignisse stattfinden, in welcher Intensität und Häufigkeit und mit welchen Ressourcen diese aufgefangen werden können.  Das Kohärenzgefühl entsteht, gewissermassen als Ergebnis aus der Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt.

Das Bindegewebe im Kontext der Zellbiologie

Die systemische Medizin erhielt wesentliche Unterstützung durch die zellbiologische Forschung B. Liptons, einem amerikanischer Zellbiologen. Er erschloss eine neue, systemische  Betrachtungsweise der Zelle. Lebende Zellen sind Kommunikationssysteme, dafür wesentlich ist nicht der Zellkern mit der DNA oder die Zellmembran, sondern der ständig sich verändernde Gel-Sol-Zustand des Zytoplasmas der Zelle! Das Zytoplasma stabilisiert die Zelle und steuert deren aktive Bewegung  plus deren Stoffwechselprozesse und kann somit  als eigentlichen Antriebsmotor der Zelle betrachtet werden. Das kolloidal gebundene Zellwasser und nicht der Zellkern ist der eigentliche Impulsgeber.

Das Bindegewebe im Kontext der systemischen Medizin

Die systemische Medizin ist ein relativ neuer Ansatz innerhalb der Medizin. Sie setzt sich in Wissenschaftskreisen erst allmählich durch. Sie beruht auf systemtheoretischen Ansätzen, welche in der Physik, Biologie, Chemie, insbesondere der Zellbiologie und der Epigenetik schon seit längerem angewendet werden. In der Systemtheorie werden Phänomene als offene komplexe Systeme wahrgenommen,  welche auf mannigfaltige Weise Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt unterhalten. Ein System reduziert die Komplexität der Umwelt, es wirkt sinnstiftend, ordnend und generiert fortlaufend neu seine Identität. Gemäss der Systemtheorie ist der Mensch keine Einheit,  sondern  bildet ein komplexes  biopsychosoziales System mit verschiedenen Subsystemen. Dabei spielt die subjektive Wahrnehmung, die Sinngebung/Bewertung von Informationen eine entscheidende Rolle.

Dr. U. Randoll, Arzt in Forschung und Praxis, entwickelte die systemische Medizin, in welcher die neuen Erkenntnisse aus der  Zellbiologie einen wesentlichen Teil bilden. Daraus resultierte die sogenannte  Matrix-Rhythmus-Therapie.

Die Matrix-Rhythmus-Therapie  geht davon aus, dass die Zellaktivität jeder Zelle im Bindegewebe eine eigene rhythmische Schwingung verursacht. So kommt zu den bekannten hormonellen Rhythmen, Herzrhythmen und den diversen rhythmisch organisierten Gehirnströmen, die Entdeckung einer Grundschwingung  der Muskelzellen. Da Muskelzellen 45% des Gesamtmassenanteils des Menschen ausmachen, schwingen diese in der sie umgebenden Flüssigkeit (zum grössten Teil Wasser) des Bindegewebes und organisieren sich untereinander zu einer Grundschwingung, vergleichbar mit einem feinen Tremor, welcher den gesamten Körper durchzieht. Dieser Tremor dürfte nach Randoll seine vorrangige Aufgabe bei der Aufrechterhaltung der Mikrozirkulation im venös-lymphatischen Schenkel der Kapillaren haben.

Die Qualität der Flüssigkeit bestimmt das ungehinderte Verbreiten dieses physiologischen Tremors. Genau dieser Tremor bestimmt nach Randoll die gesamte Stoffwechselaktivität (Ausleitung von Stoffwechselendprodukten via Lymphe, Transport von Nährstoffen und Sauerstoff, Ruhe-und Aktionspotential der Zellen). Der Stoffwechsel im Kleinen (Zelle, Körper), wie auch im Grossen (Natur, Kosmos) ist in Rhythmen organisiert.

So bestätigt sich durch die Forschung von Lipton und später auch durch die Forschungen von Randoll, was schon Pischinger postulierte und die Philosophen der Antike ahnten, dass das Bindegewebe ein komplexes Netzwerk bildet, in welchem Informationen verschiedenster Art intra- und interzellulär durch das Medium Wasser ausgetauscht, Nährstoffe weitertransportiert und Schadstoffe ausgesiebt werden. Struktur und Funktion bedingen einander. Während die Schulmedizin vornehmlich die Struktur wahrnimmt, ergänzt die systemische Medizin die Schulmedizin um die funktionale Sichtweise. Mit der systemischen Medizin ist ein Brückenschlag zwischen der strukturell orientierten Schulmedizin und der funktional denkenden Naturheilkunde erfolgt.

Die Humoralmedizin in Kombination mit der systemische Medizin liefert ein fundiertes Hintergrundwissen für die komplexen Krankheitsbilder der heutigen Zeit, welche sich oft durchwegs über diffuse, fliessende Schmerzen im Bindegewebe, Müdigkeit, Leistungsabfall, Verspannungen, stoffwechselbedingte Wassereinlagerungen etc. äussern und erst später  allmählich in organisch fassbare Krankheiten übergehen wie Arthrose/Arthritis/Rheuma, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etc. Bei all diesen Erkrankungen  ist gemeinsam, dass sie mit einer allgemeinen Verschlackung des Bindegewebes einhergehen. Die Humoralpathologie sehe ich dabei als unschätzbare Hilfe, um die individuelle Konstitution der Patienten und deren Regulationsdefizite zu erfassen.